Sonntag, 26. April 2020
Auftakt-Matinée LITERATUR + MUSIK
„Linde Waber sammelt interessante Menschen um sich, sucht besonders den Kontakt zu anderen Künstlern, Dichtern, Musikern, Filmemachern, Architekten, Modemachern“ schreibt Rudolf Leopold in seinem Vorwort zur Ausstellung anlässlich des 70. Geburtstages 2010.
An der hohen Kunst der Kommunikation, der Vernetzung sowie der unglaublichen und sprühenden Energie Linde Wabers hat sich bis heute nichts geändert. Linde Waber lebt in Interaktion mit anderen Kunstformen und holt sich viele Anregungen aus der Literatur. Zitate von Künstlerfreunden wie Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Bodo Hell oder Franzobel u.v.a. finden sich in ihren Bildern.
Zum Auftakt von „Charivari-Linde80“ versammelt sich eine Vielzahl an Wegbegleitern aus Literatur und Musik mit künstlerischen Beiträgen für Linde Waber. Alle AutorInnen, mit denen Linde Waber jemals in Kontakt gekommen ist, können wir in diesem Rahmen leider nicht präsentieren, doch die übrig gebliebenen sind gewiss repräsentativ genug für Lindes Kooperationsgeist und haben außerdem ihr Schreibatelier der Künstlerin zum Zeichnen geöffnet. Ebenso die Musiker, die mit kleinen Konzertinterventionen und musikalischen Geburtstagsgrüßen an diesem Auftakt mitwirken.
sowie musikalischen Interventionen von
Musikalischer Geburtstagsgruß von Max Nagl
Linde Waber über ihre Freundschaft mit Friederike Mayröcker, Liesl Ujvary und Bodo Hell. Gespräch und Lesung zu Mayröckers „Reise durch die Nacht“ und „Knappenhof/Zwettl“, Friederike Mayröcker liest selbst aus „Pathos & Schwalbe“.
Musikalische Begleitung Renald Deppe. Gestaltet von Mischa G. Hendel.
7. Besuch bei einer Freundin
Meine Freundin heisst Linde. Linde ist 35 Jahre alt. Sie ist verheiratet, ihr Mann heisst Istvan. Istvan ist Hals-Nasen-Ohrenarzt. Linde hat einen Sohn Philipp. Philipp ist eineinhalb Jahre alt, er kann noch nicht sprechen. Zuerst bringt Linde Philipp zu Bett. Manchmal schreit Philipp noch ein wenig. Dann bereiten wir uns ein Abendessen. Linde legt Speck, Wurst, Käse, harte Eier, Butter, Brot und Tomaten auf einen Teller, ich decke den Tisch. Vor dem Essen trinken wir einen Schnaps, zum Essen trinken wir eine Flasche Rot- oder Weisswein.
Während dem Essen unterhalten wir uns. Linde erzählt von Philipp,
ich erzähle von meiner Tochter Hanna. Linde hat es schwer, einen
Babysitter zu finden. Wir sprechen auch über unsere gemeinsamen
Freunde und Freundinnen und über unseren Gesundheitszustand.
Linde erzählt, dass sie sich erkältet hat. Nach dem Essen rauche ich
einige Zigaretten, dann wird der Tisch abgeräumt. Wir unterhalten
uns noch über Neuigkeiten des kulturellen Lebens. Linde ist ein
fröhlicher Mensch, mit ihr gibt es immer viel zu lachen. Später kommt Istvan und führt mich mit dem Auto nach Hause.
Beantworten Sie die folgenden Fragen:
1. Haben Sie viele Freunde?
2. Wie heisst Ihr Freund (Ihre Freundin)?
3. Ist er (sie) verheiratet?
4. Kennen Sie Ehepaare mit Kindern?
5. Werden Sie oft zum Essen eingeladen?
6. Was trinken Sie zum Essen?
7. Trinken Sie lieber Rot- oder Weisswein?
8. Worüber unterhalten Sie sich?
9. Reden Sie gern über Ihre Gesundheit?
10. Sprechen Sie über gemeinsame Bekannte?
11. Interessiert sich Ihr Freund (Ihre Freundin) für Kunst?
12. Wann gehen Sie nach Hause?
Was die Welt zusammenhält
Harte Zeiten – Weiche Knie
Volle Brüste – Leere Taschen
Heisse Nächte – Kalter Kaffee
Saure Trauben – Süsses Leben
Enge Hosen – Weite Herzen
Teure Heimat – Billige Angebote
Reiche Ernte – Arme Schlucker
Grosse Chancen – Kleine Fische
Dünne Suppe – Dicke Luft
Leichte Mädchen – Schwere Geschütze
Helle Köpfe – Dunkle Geschäfte
Lange Finger – Kurzer Prozess
Alte Lieder – Neue Gesichter
Scharfe Sachen – Milder Wein
Überraschende Ähnlichkeiten
ein Gesicht wie ein Bauch
ein Bauch wie ein Gasherd
ein Gasherd wie eine Tulpe
eine Tulpe wie eine Kuh
eine Kuh wie Packpapier
Packpapier wie ein nasses Handtuch
ein nasses Handtuch wie ein Laib Brot
ein Laib Brot wie ein Kuss
ein Kuss wie eine Fichte
eine Fichte wie ein Esslöffel
ein Esslöffel wie ein Ofenrohr
ein Ofenrohr wie eine Träne
eine Träne wie Auspuffgase
Auspuffgase wie Maresi-Alpenmilch
Maresi-Alpenmilch wie rostige Nägel
rostige Nägel wie ein Kopfpolster
ein Kopfpolster wie eine Hose
eine Hose wie ein Sonnenuntergang
ein Sonnenuntergang wie Gummistiefel
Gummistiefel wie Emmentalerkäse
Emmentalerkäse wie ein Schneefeld
ein Schneefeld wie ein Gesicht
1 Einführung von Bodo Hell zu den Tageszeichnungen von Linde Waber
Bodo Hell zu Mayröckers Knappenhof/Zwettl
Die Malerin, Holzschneiderin und Zeichnerin Linde Waber hat der Dichterin Friederike Mayröcker zwei ihrer Tageszeichnungen zu Verfügung gestellt, beide aus dem Sommer 1996 stammend. Beides sind Motive, die nicht von ungefähr mit der Dichterin in Verbindung stehen, war doch diese als Kind mit ihrem Vater im Landhaus Knappenhof in Edlach an der Rax gewesen und spielte Zwettl mit Linde Wabers Haus und Garten bereit in frühen Veröffentlichungen der Dichterin eine inspirierende Rolle.
Wie Friederike Mayröcker diese beiden Erinnerungs- und Vorstellungs-Animationen via Bild in ihrer freien Textgestalt zuerst einzeln aufruft (zuerst Knappenhof/dann Zwettl) und wie sie die Imaginationen anschließend kunstvoll miteinander verschränkt, das wird in diesem 6-Minuten-Text exemplarisch deutlich und hört sich so an:
2 Bodo Hell liest „Knappenhof/Zwettl – 2 Animiertheiten“ von Friederike Mayröcker zu zwei Tageszeichnungen von Linde Waber. Musik: Renald Deppe – „Cello lose“
Sophie Reyer Filmischer Essay mit 3 Texten
Linde Waber zu Besuch bei der Schriftstellerin Sophie Reyer im Rahmen der Serie „Atelierzeichnungen“. Musikalisch begleitet vom Roman Britschgi Quintett, gestaltet von Wolfgang Bledl.
Schätze des Lebens
Hartwig Knack Linde Waber’s Schätze des Lebens
Oktober 2019: Telefon! Linde Waber ruft an: „Hartwig, ich würde mich sehr freuen, wenn du im nächsten Jahr zu meinem Geburtstag so etwas wie eine Ausstellung zusammenstellst. Allerdings will ich darin keine Kunst von mir sehen! Aus Anlass meines Achtzigers möchte ich Weggefährten einladen und im Aktionsradius gemeinsam ein Programm auf die Beine stellen. Das Motto: CHARIVARI. Bist du dabei?“ „Natürlich bin ich dabei!“
Okay! Eine Schau ohne originale Werke soll es also sein. Keine von Lindes Zeichnungen, keine Druckgrafik, keine Gemälde, keine ihrer Materialbilder … Seit fast 60 Jahren macht Linde Kunst. Einzelausstellungen in Tokio, Paris und Lagos, der größten Stadt Nigerias. Im Leopold Museum und in der Albertina, im Wiener Museum für Angewandte Kunst, in der Österreichischen Galerie Belvedere oder auch im Künstlerhaus Wien … Arbeitsaufenthalte, Ausstellungen, Symposien und Studienreisen in China, Frankreich, Italien und Großbritannien, Brasilien, Japan, Afrika, im Jemen und Oman, zuletzt Palästina …
5. Februar 2020: Finale ausführliche Besprechung mit Linde im Atelier am Gaußplatz. Zum Jubeltag eine Ausstellung ohne Kunst! Charivari hieße für sie Wirrwarr oder heilloses Durcheinander, bedeutet mir Linde im Gespräch und lässt mich nach einem opulenten Frühstück mit französischem Käse, Leberpastete, Blutwurst und Kuchen eintauchen in ihre Sammlung von Ausstellungsplakaten, die Erinnerungen und Orte ihres globalen künstlerischen Wirkens markieren. Die große graue Betonwand im Aktionsradius: Prädestiniert für ein Medley der Plakate. Mit dünnen Stahlstiften dezent, locker und sich überschneidend montiert. Fahnen früherer Projekte, versehen mit literarischen Beiträgen befreundeter SchriftstellerInnen könnten abgehängt werden vom Plafond. Das Banner einer Ausstellung in Pakistan hätte Platz an einem der Pfeiler zwischen den Fenstern. Diverse von der Künstlerin bemalte und auch anders gestaltete Paare von Frottee-Pantoffeln – im Urzustand belassen bekannt als international standardisierte Hotelausstattung und aber auch geschätzt als Souvenirs ferner Länder – werden am Band wie eine Girlande im Raum drapiert. Und die Eröffnungsrede – gehalten von Linde anlässlich ihrer Ausstellung in Chengdu existiert in großem Format auf Chinesisch. Wir finden schon einen Platz dafür. Vielleicht hinter dem Tresen …? Eine Fahne mit Verweis auf Lindes mittlerweile mehrere hundert Blätter umfassende Serie der Atelierzeichnungen könnte an einer der säulenartigen Flächen der Fensterfront platziert werden.
Der in Falten herunterhängende beigefarbene Stoffvorhang der Bühne des Aktionsradius bietet Platz für drei oder vier sogenannte Sommerbilder Linde Wabers. Vielleicht 40, 50 oder 60 Zentimeter hohe Leinwandstreifen, die teilweise sechs bis sieben Meter lang sein können, bebildern das Erlebte eines jeweiligen Sommers. Collageartig hält Linde darin erinnerungswerte Momente, Wegmarken im Privaten wie auch aus der Kunstwelt, aufgefädelt wie auf einer imaginären Kette fest: Fotos, Presseartikel, Veranstaltungshinweise, Handschriftliches, Gedichte, Reime, Zeichnerisches, Unterschriften oder Grußworte lassen die Monate Revue passieren.
Auf den Flächen zwischen den Fenstern und der Wand vis-à-vis sollte auch genügend Raum für die frühen Radierungen des Sohnes und der Tochter der Künstlerin sein. Linde ist ein ausgesprochener Familienmensch. „Die Schneeesserin“ darf daher natürlich auch nicht fehlen: Ein nicht realisiertes Buchprojekt von Marion Steinfellner und Herbert J. Wimmer, illustriert von Lindes Enkelkindern. Oder auch ganz aktuelle Familienporträts der Enkel. Gezeichnet ohne Zwänge und mit der Unbekümmertheit des Kindseins. Alle tauchen im Bildnis auf: Mama, Papa, Oma, Clara, Theo, Valerie, Louis, Philip … Abgerundet wird das „Geburtstagsfest“ durch Fotos Gunter Breckners, Lindes Lebensgefährte, der als passionierter Fotograf die gemeinsamen Reisen, Alltag und Freizeit seit Jahren in aller Ausführlichkeit bildlich festhält.
Ach ja. Außen! Wir gehen hinaus, vermessen zuerst mit den Augen, dann mit einem Maßband die Fassade und fügen imaginär das mehrere Meter hohe Porträtfoto der Künstlerin ein. Ein weiteres Relikt vergangener Tage aus Lindes schier unerschöpflichen Fundus. Ehemals Außenwerbung der Künstlerhaus-Ausstellung „Genius Loci“, nun gedanklich adaptiert und zusammengeschnitten für das Entrée des Aktionsradius. Eingebettet in seine neue Umgebung und den Kontext des vierwöchigen Charivari scheint nun mit dem großen Banner der Geist dieses Ortes geweckt. Heterogen arrangierte bedeutsame Ereignisse, wertvolle Erinnerungen und spannende Geschichten eines reichen Künstlerlebens erwarten uns.
Bertl Mütter Stiegenhausmusik #51 (23. Mai 2019)
Gruß von Bertl Mütter an Linde Waber
Am 24. Mai 2020 wird Linde Waber 80. Fast auf den Tag genau ein Jahr davor entstand die „Stiegenhausmusik“.
»KG21GA_verein zur förderung der hinterhofkultur« in Innsbruck hatte mich eingeladen, meinen Beitrag zu dieser sehr speziellen Veranstaltungsserie zu liefern. Das Video darf man als im besten Sinn ungeschönt bezeichnen; man erwarte sich also nichts makelloses.
*/»Eine Treppe ist /*
/eine billige Metapher /*
/fürs Leben, im Stiegenhaus/*/«/
Bertl Mütter
Das Leben ein Auf und Ab – auch in den aktuellen unruhigen Zeiten … Auf dem Halbstock zur Bahn hin bin ich, vor einer liebevoll drapierten güldenen Rettungsfolie (beschriftet mit »Die Vielen«), gestanden, vor mir ein quasi atemloses Publikum. Unerhörte Intimität, Spiel zwischen reifenschleifend kreischenden Rangierzügen und maibedingt singenden Vögeln, viel Stille dazwischen. Glück und Dankbarkeit.
Bertl Mütter
Chaos und Anfang
Marie-Thérèse Kerschbaumer Chaos und Anfang. Ein Poem.
Klagenfurt/Celovec: Wieser Verlag GesmbH: S. 7-8.
Für Linde – Alles Gute zum 80. das heißt achtzigsten Geburtstag, der Achter ist auch das Ewigkeitszeichen. In dankbarer Freundschaft, Marie-Thérèse Kerschbaumer.
ERSTER TEIL
1.
Gewaltig die Wasser über und unter tosend vereint im Sog der auf wallenden Fluten. Die Wellen der Wogen brausenden Brecher Massen der Wasser und abermächtigen Meere donnernden Ur- und Abermeere Ozeane und Aberozeane Welten brausender Gischt. Brüllend jagen die Hunde des Hades die Kräfte der Wellen weitab. Auf bäumt das Element sich krachend stürzt es hinab. Ohne Ziel ohne Richtung nicht Achse noch (Punkt?). Chaos die Heimat der Himmel die Himmel nicht sind. Sein wäre Anfang doch Anfang ist nicht. Nur Gischt und Bewegung nur Toben und – wüst und leer – und finster auf der Tiefe (1. Mose 1. 2.) – und Nichts. Dann schwebte Geist. Geist über Grund und lagen die Fluten jetzt still. Nebel stiegen Spiralen auf Flächen aus Gas aus Helle aus Dunst und Verdunstung aus Rand und aus Grenze: Und teilte Wasser von Land. Das war in der Zeit. Nach der Zeit ohne Zeit. Das war als Land Land hieß und nicht hieß Erde das war als Sagen nicht war als Zählen nicht war. Das war ehe Zählen begann.
Himmel waren geteilt Land war geteilt. Es waren Blöcke gewaltig. Auf stieg aus Wasser aus Dunst aus Nebel auf stiegen und stiegen die aus Krill und Kalk von gepanzerten Engeln gefügten Begriffe Götter Giganten Gestalten erste Wesen vom Grund. Ist Kosmos ist Raum ist Gesamtheit ist Ordnung ein lebendes Wesen sagen die Weisen. Das Urding der Feste den Fluten entstiegen Feste des Himmels heraus und hervor und kein Auge hat es gesehen kein Auge sah diesen Aufstieg gigantischer Dinge Riesen Leiber der Gäa Riesin Weltengebärerin Stern aus der Finsternis strebend zum Licht. Licht das vernichtet Licht das entbrannt ist auslöschest Nichts Not und Nacht. Da war nicht Nacht. Da war nicht Not. Da war nicht Nichts. Finsternis war und die Feste geteilter Himmel von Land das heißt Erde. Erde des Anfangs Erde des Lichts. Da schwebte Geist über Wassern. Licht werde Licht. Die Tiefe wollte Tiefe nicht sein und Licht wurde Tag und Finsternis Nacht. Und sah daß es gut war. Und schied das Licht von der Finsternis. Und die Tiefe floh aus der Tiefe und war eine Feste zwischen den Wassern und war aus Morgen und Abend der Tag und kein Auge hat es gesehen kein Ohr hat es gehört und ward aus Morgen und Abend der erste Tag. (1. Mose 1. 5.)
Und war ein Unterschied und es geschah. Und sprach es sei. Und war ein Unterschied über der Feste und war über der Feste von den Wassern und es geschah. Und war die Feste ein Himmel und war aus Abend der Abend und aus dem Morgen ein Morgen. Da ward aus Abend und Morgen der andere Tag. (1. Mose 1. 8.)
Aus: Chaos und Anfang. Ein Poem. Klagenfurt/Celovec: Wieser Verlag GesmbH: S. 7-8.
Aria
Martin Kubaczek Aria für Linde
Liebe Linde!
Vor Jahren hab ich mal auf Ö1 eine Aufnahme der „Goldberg-Variationen“ von Bach gehört, die mich beglückt und fasziniert hat; ich hab mir die CD besorgt und die Aria so zwanzig, dreißig Mal angehört, dazu Notizen gemacht, und sie dann zu diesem Text zusammengefasst, in dem vielleicht der Friede und die tiefe Ruhe der Aufnahme spürbar bleibt. Später habe ich dann aus einem Interview mit der New Yorker Pianistin Simone Dinnerstein erfahren, dass sie in der Zeit vor der Aufnahme Mutter eines kleinen Sohns geworden war und das ihr Spiel verändert hätte. Etwas davon scheint in ihre Musik übergegangen, eine Magie und Stille, wie ich sie in der Aria so noch nie gehört habe. Diesen Frieden und diese Stille wünsche ich dir, liebe Linde, in der Freude, mit der wir täglich teil an einander und an diesem Leben nehmen.
Martin
„Aria“ from J.S. Bach: „Open“ Goldberg Variations, BWV 988 (Piano) by Kimiko Ishizaka
„The Open Goldberg Variations have a simple, yet ambitious goal; to create a new, beautiful and exciting interpretation, precise to Bach’s instruction, yet full of personality and character, and give it a life of its own so that it will be enjoyed by audiences for decades to come. (…) Bach is beautiful, but not everybody has experienced the magic. This is music that soothes and inspires the soul; it is meant to be shared!“ (Kimiko Ishizaka)
https://music.kimiko-piano.com/album/j-s-bach-open-goldberg-variations-bwv-988-piano
Wenn diese Hände
einander finden, driften, niemals treffen
auf Töne nur von Zärtlichkeit, Berückung, Liebe
zu einem Kind, dich in die Arme nehmen, Wange
an Wange, dir über Haare streichen
dir Atem, Raum und Töne geben
die aus Gelenken Läufe, Gesten
wie Tropfen fallen oder streben
auf einem Absatz landen, treffen
den Punkt, als ob es nur ihn und
keinen anderen gäbe, beharren
nicht auf Effekt, bei sich
und ohne Weg und Streben
nach Anerkennung, um zu finden
was Sinn macht: Stille – …
Aria aus den Goldberg-Variationen
Wenn diese Hände
einander finden, driften, niemals treffen
auf Töne nur von Zärtlichkeit, Berückung,
Liebe zu einem Kind, dich in die Arme nehmen,
Wange an Wange, dir über Haare streichen
dir Atem, Raum und Töne geben
die aus Gelenken Läufe, Gesten
wie Tropfen fallen oder streben
auf einem Absatz landen, treffen
den Punkt, als ob es nur ihn und
keinen anderen gäbe, beharren
nicht auf Effekt, bei sich
und ohne Weg und Streben
nach Anerkennung, um zu finden
was Sinn macht: Stille –
nicht zu verstehen, so doch zu wissen
was passiert, wenn man versteht:
dass wir hinüber gehen und kommen wie
ein offenes Gefäß, bis es im Beben
aus Ton und Welle langsam bricht
und bröselt, bröckelt, birst, zerfällt
in dem, das es enthält, und dem,
was es umgibt: wie Wasser, Meeresgrund
und Läufe, Cluster, Tonvorhänge
ganz zugewandt, dir etwas geben
das enthält: Gefühl dafür
wie andere staunen, sehen
ein Gleiches, eine Differenz
der Hände – Hände, die sich
von dir fort und zu dir hin bewegen
laufen und fliegen als würden sie
Lieder singen, Dinge erzählen
von denen wir nichts wissen, und doch
zu Namen finden, die du nicht
nennst. Kennst Skalen, Tastenwege
will dich fragen, wie du weißt
verstehst, dass ich dich nicht
und nie verstehe, wir sind in nichts
uns ähnlich oder fremd, vergessen
sagst du, oder denk ich mir
mag stimmen, ohne Stimme, liegen
bei sich selbst. Wie mit zwei Händen
diese Stimmen singen, figurieren
in diesem Zungenschlag, uns spüren
dass wir, nein, nicht nach einem
oder wem, voll Sehnsucht sind, dass wir
die schläfrige Behutsamkeit, mit der
wir eine Decke ziehen über die Schulter
diesem Kind, und wärmen ihm
Hände und Füße, Stirn und Kinn
uns finden, selbstvergessen, ganz bei ihm
und lieben dürfen lernen wir, wenn wir
dich hören, wie du spielst, mit einer Geste
etwas wirfst, das innehält und
weiter fliegt. Schleier, Kaskaden, kleine Fälle
Schlieren, perlende Klangvorhänge
und Perspektiven, Träumereien
als könnte dich nicht stören
was andere wollen, gerne hätten, denken
du brauchst das nicht, hast vielleicht
schon früh gekriegt, was andere nicht –
Durftest du lachen, stören?
Hat wer dich liebt, dich einfach
angenommen? Will hören
wie das klingt, will sehen wie es fühlt
will singen wie du singst. Verlange nicht
und kriege, weil dich das Geben nur
beglückt, zufrieden stellt, bin froh
mit deiner Fröhlichkeit und ohne Streit
um Aufschlag, eine kleine Demut, Delle
wie das um Ausgleich, Gleichmut und
Gefälle wiederkehrt in einer Welle –
Schlafen kann ich nur bei dir, und
leise, leise will ich gehen, höre
deinen Atem, weiß nun
dass du schläfst
in der Aufnahme von Simone Dinnerstein, New York 2007 (Telarc)
Membran, Roman
Herbert J. Wimmer Konvolut J : Regensburgerstrasse - für Linde Waber
Auszug aus MEMBRAN, Roman (Sonderzahl Verlag, Wien 2013)
J-01
pflanzbeete:
aus der not in den wiederaufbau, mitten im wachsen aufwachsen, erwachsen werden, das erwachen nicht vergessen, so denkt er sich das, so denkt er sich das mir, so denke ich ihm das.
J-02
durch eine membran dringen, in der membran schwingen, die membran produziert text, membran ist text, membran ist gegenwart, gegenwart von text, text als gegenwart, die vergangenheit produziert (in der immer neuen wiederkehr des immer neuen).
J-03
der offene garten besteht aus einer reihe von beeten, von der gemeinde gepachtete erde, zehn, zwölf rechtecke nacheinander, längsseite hinter längsseite, in den hintergrund reichend, aus dem hintergrund kommend, sechs meter lang und je eineinhalb meter tief, so zirka.
J-04
kreisrund in der mitte der nebenreihe das stück betonröhre, bis in hüfthöhe in den boden gerammt, eine zisterne für regenwasser und das frisch aus der gusseisernen, grünlackierten pumpe nachgepumpte wasser, moos und fädiges wassergrün klebt im grobkörnigen grau des röhrensegments, zieht den blick unter den wasserspiegel, in die unergründlich dunkle tiefe von mindestens einem leben. die dunkelgraue giesskanne ist alt und hat viele löcher.
J-05
grundlos grünlich ins grünlose, absinkendes grün, abgrünlichkeiten..
Textauszug aus MEMBRAN, Roman
J-06
es gibt viele reihen von rechtecken, aber nur eine hat den augenblick der erinnerung, riechen und schmecken kommen ineinander: der anblick und der geruch von dillstauden, in denen schon der geschmack einer sämigen dillsauce hängt, in der gekochte erdäpfel zermantscht werden, die gekochtem rindfleisch beiliegen, beinfleisch meistens, wunderbar gallertiges und zartfaseriges fleisch, das leicht vom knochen fällt, mittagsfleisch vor dem mittagsschlaf. mit dem wunsch nach dillgurken aufwachen, im wünschen aufwachen, im aufwachen wünschen.
J-07
nach dem schlaf besuch bei den erdäpfeln, zwei beete mit sieglinde und einer mehligen sorte, ein quadrat mit kipflern, die stangenbohnen schirmen den blick schon gut zum wegrand hin ab, noch sind keine bösen kartoffelkäfer zu sehen, von denen im verkaufsraum des lagerhauses prächtig bunte fahndungszeichnungen hängen. weisse bohnen, dunkelrot gesprenkelte käferbohnen und wachsbohnen ranken vertikal.
J-08
es gibt beete für weisse und rote krauthappeln, häuptelsalat, vogerlsalat, endivie, knollensellerie, karotten, gelbe rüben, rote rüben, petersilie, erbsen, gurken, zwiebeln, knoblauch, schnittlauch, tomatenstauden, weiter nach hinten strohumwickelte erdbeeren, am linken rand einiger beete sechs bis sieben ribisel-stauden, eine himbeer- und eine brombeerstaude, einige stachelbeeren, dazwischen zwei drei blumenbeete: immer wieder saison haben nelken, gladiolen, phlox, astern, chrysanthemen, stiefmütterchen und vergissmeinnicht (vorgepflanzt für pflegebesuche zu friedhofsbeeten), sowie blütenpflanzen, die nur undeutlich und namenlos als erinnerung ihre konstruktion erleben, verwischte farbflecke, keine spezifische dufterinnerung, dann steht schon der komposthaufen, ein oben offener würfel aus holzbohlen, daneben einige stauden notwendigen unkrauts und zum linken rand hin ein freier quadratmeter mit einer sitzbank, dreiseitig umschlossen von hölzernem stangenwerk und dem blattgrün aufschiessender bohnenstauden.
J-09
wie sich was drängelt
und ins bewusstsein
hineinmanövriert.
inspirationskarte
elfriede gerstl
J-10
ein grüner pflanzenschacht, der direkt ins blau des himmels führt, bewusstsein absaugt ins strahlend infinite, bis der wandernde lichtpunkt eines satelliten, der weisse kondensstreifen eines jets lust an endlichkeit als bewusstsein aufs neue strukturiert, im beobachter, der sich empfindet, empfindet wie er sich empfindet, von augenwinkel zu augenwinkel, form hat, gestalt ist, grenzen lebt.
J-11
an feuchtschwülen tagen, wenn die wolken grau und tief hängen und alle gerüche viel intensiver eindringen, sendet der komposthaufen, der sonst in durchaus enttäuschender weise überhaupt nicht riecht, duftwolken von faszinierend unbeschreiblicher penetranzlichkeit aus, hochkomplexe verrottungsgeruchsmolekülwolken, tiefstliegende chemo-rezeptoren massierende transformations-schwaden, eröffnungen olfaktorischer fäulnis-ungeheuerlichkeiten, orgiastisch präsemantisch, bennenungsfern, was die rezeptormoleküle in der riechschleimhaut mit ihrer spezifischen matrix auf der oberfläche des riechepithels da aufnehmen. aktionspotentiale rasen in den axonen der rezeptorzellen durch die löcher des siebbeins ins schädelinnere und in den riechkolben.
J-12
gerüche sind angelangt, wo ein ich momentan ist, momentan selbst ist.
zur verrottungskonstellation gehört laub, gut durchgewelkt, grünschnitt, unkräuter, mit reisig vermischt zur guten durchlüftung, hobelspäne, eine dünne schicht feines kalkmehl, tierische abfälle wie horn- oder knochenmehl, eine zentimeterdicke schicht lehmige erde oder montmorillonit als besonders guter ton-humus-komplexbildner. gut durch das klopfen mit einer mistgabel vermischt, beimpft mit regenwürmern und bereits fortgeschrittenerem kompost aus nachbarhaufen, verrottet das versammelte in sechs bis acht wochen zu feinem wurmhumus.
J-13
selbst ist der geruch
J-14
ein selbst beriecht mich,
mein selbst beriecht mich,
mein selbst beriecht sich,
ein selbst beriecht sich.
J-15
ein selbst beriecht dich.
dein selbst beriecht dich.
mein selbst beriecht dich.
allein selbst beriecht dich.
J-16
selbst der ruch,
der ruch selbst.
J-17
ich beobachte mein selbst, das beriecht.
ich beobachte mein selbst, das mich beriecht.
ich berieche mein selbst, das dich beobachtet.
ich berieche mein selbst, das was beobachtet.
J-18
ich beobachte, also bin ich selbst.
ich beobachte, also bin ich ein riechendes selbst.
ich beobachte, also bin ich ein mich riechendes selbst.
ich beobachte, also bin ich geruch;
ruch also bin ich.
J-19
mein selbst beriecht mich nicht,
mein selbst beachtet mich nicht.
ein selbst beachtet kein selbst,
selbst ein selbst ist ein selbst.
J-20
in der sprachlosen stille unaufhörlicher vorgänge gehe ich über in die endlosigkeit, in die unvergrenztheit riechender wahrnehmung, bewegungslos im strömenden bewusstsein höchster aktionspotentialität, ich riechfeld, übergehend im untergang, untergehend im übergang, unaufhörlich kompost.
J-21
so errieche ich mir gedächtnis: von der riechschleimhaut zum riechkolben über die stria lateralis zur primären riechrinde zum hippocampus; so verschalten emotionen und motivationen: von der riechschleimhaut zum riechkolben einerseits über die stria lateralis zur amygdala (limbisches system) zum hypothalamus und von dort weiter zum basalen vorderhirn und zum orbitofrontalen cortex. ausserdem verbindungen über den tractus olfactorius und die stria medialis zum tuberculum olfactorium und weiter zum septum; so werden gerüche identifiziert: von der riechschleimhaut zum riechkolben über die stria lateralis zur primären riechrinde und weiterverschaltung zum thalamus und orbitofrontalen cortex.
J-22
abschweifendes nachschlagen im flüchtigen, in den noch unauslotbar temporären wissenspflanzbeeten von google und wikipedia; im nachklicken erblühen vokabulare, mediale extensionen werden und vergehen.
J-23
hinter den pflanzbeeten liegt ein streifen ungenutzer wiese, die bis ans grauschwarze holz der rückwand eines etwa zwei stockwerke hohen alten stadels reicht. als ich mich umdrehe und über die pflanzbeete blicke, sehe ich nach der ersten reihe noch eine zweite reihe von pflanzbeeten, eine nicht sehr hohe grasige böschung hinauf zur hauptstrasse und dahinter eine reihe mehrstöckiger wohnhäuser im stil der sechziger jahre des zwanzigsten jahrhunderts, rosafarben verputzt, dunkelrot das satteldach, einen himmel wie tag und nacht, in den farben jeder witterung.
J-24
endlich endlich
ich will nichts wissen.
ich will nicht nichts mehr wissen.
ich will nichts wollen.
ich will nicht nichts mehr wollen.
ich will nichts sagen.
ich will nicht nichts mehr sagen.
ich will nicht blöd sein.
ich will nicht nichts mehr spüren.
ich will nicht klagen.
ich will nicht nicht mehr schlafen.
ich will nicht nicht sein.
J-25
giessen am abend
mein bewusstsein springt zusammen als bild eines bewusstseins: olfaktotemtier: fast schon ein blaunsteiner.
Martin Siewert Untitled #80
Happy Birthday – für Linde!
Irmi Egger & Uschi Schreiber Kulinarisches zum Fest
Erdäpfelkas
In Oberösterreich nicht vom Jausenteller wegzudenken
von Irmi
ZUTATEN:
500 g speckige Erdäpfel, am Vortag in der Schale gekocht
1 kleine Zwiebel oder 2 Jungzwiebeln
250 g Sauerrahm
125 g cremiger Frischkäse
Salz
weißer Pfeffer aus der Mühle
gute Prise gemahlener Kümmel
eventuell eine kleine Knoblauchzehe, geschält und gehackt
1 EL gehackte Petersilie
eventuell 1 TL gehackter frischer Majoran
ZUBEREITUNG:
Erdäpfel schälen und auf einer groben Rohkostreibe reiben Zwiebel schälen und hacken – oder Jungzwiebel putzen und in kleine Stücke schneiden. Alle Zutaten vermischen und abschmecken; ca. 1 Stunde bei Zimmertemperatur stehen lassen. Nochmals abschmecken. Eventuell mit geriebenen, gekochten Erdäpfeln, Kümmel und krauser Petersilie garnieren.
Mamas Mohnkuchen
für ein Blech – Supereasy weil Rührteig und Becherrezept
von Irmi
2 Becher Zucker und 4 Eier verrühren. Dann langsam 1 Becher (Sonnenblumen oder Raps) -öl dazurühren.
Danach 2 Becher Mehl (geht auch Vollkorn),
1 gestrichtenen Esslöffel Backpulver zum Mehl geben,
2 Becher geriebenen Mohn (idealerweise frisch gemahlen), 2 Becher leeres Joghurt, 1 kl. Prise Salz und 1 EL Vanillezucker dazurühren.
(Für Springform die halbe Menge nehmen …)
Ca. 30 Min. im Rohr bei 180 Grad backen (Umluft: 160 Grad).
Dann auf den heißen Kuchen Marmelade streichen und auf den ausgekühlten Kuchen die Zitronenglasur verstreichen (Saft einer Zitrone mit soviel Staubzucker verrühren, dass eine streichbare Masse entsteht).
Irmi Egger & Uschi Schreiber Kulinarisches zum Fest
Geburtstagsgugelhupf für Linde
mit Äpfeln und Mandeln | von Uschi
ZUTATEN:
200 g Mandeln (gerieben)
120 g Dinkel-Vollkornmehl
1-2 TL Backpulver
1-2 TL Zimt
2-3 Äpfel (ca. 330g), am besten säuerliche
160 g Kristallzucker
160 g Butter (geschmolzen)
4 Eier
Saft und Schale von einer Zitrone
ZUBEREITUNG:
Mandeln mit Mehl, Backpulver und Zimt vermischen. Äpfel mit Zucker, Butter, Zitronensaft und -schale sowie Eiern verrühren, Mehlmischung unterrühren. Masse in die befettete/bemehlte Gugelhupfform füllen. Im vorgeheizten Backrohr bei 180 Grad ca. 40 Minuten backen (Umluft 160). Mit Staubzucker und Zimt bestreut servieren.
Lass ihn Dir schmecken, liebe Linde!
Tipp:
Heinz Janisch hat für den ORF ein Linde-Waber-Porträt im Rahmen der Sendereihe „Menschenbilder“ gestaltet. Die Sendung wird an Lindes Geburtstag wiederholt – und am 24.5. um 14.05 Uhr auf Ö1 zu hören sein:
„Hausbesuche“ – Die Künstlerin Linde Waber. Zum 80. Geburtstag.
Gestaltung: Heinz Janisch, Infos unter https://oe1.orf.at/collection/582237